Schritt 3: Widerspruch begründen

Neu: Podcast Folge 29 – Widerspruch gegen den Examensbescheid in 5 Schritten

Den anspruchsvollsten Teil des Widerspruchsverfahrens stellt zweifellos die Begründung des Widerspruchs dar.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösungen nicht als falsch gewertet werden (sog. Bewertungsfehler). Andererseits hat der Prüfer im Rahmen der von ihm vorzunehmenden prüfungsspezifischen Wertungen einen eigenen, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum.

Dem gegenüber steht wiederum ein sogenannter „Antwortspielraum“ des Prüflings: Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sind, die Beurteilung vielmehr unterschiedlichen Ansichten Raum lässt, muss dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden.

Die Taktik muss daher darin bestehen, dem Prüfungsamt möglichst schon im Widerspruchsverfahren Bewertungsfehler bzw. Verletzungen des Antwortspielraums des Prüflings aufzuzeigen. Ein Anspruch auf erneute Vorlage der Klausuren an die Prüfer besteht allerdings auch dann, wenn die Korrektur keine Bewertungsfehler enthält (sog. „Überdenkungsverfahren“, vgl. dazu Schritt 4).

Im Einzelnen ist Folgendes zu beachten:

– Der Prüfling muss in der Begründung des Widerspruchs substantiiert darlegen, warum die von ihm gewählte Antwort zumindest vertretbar ist. Nehmen Sie diese Darlegungslast ernst, sie kann über den Erfolg des Verfahrens entscheiden.

– Um die Vertretbarkeit zu belegen, eignen sich Literaturstellen sowie insbesondere Gerichtsentscheidungen.

– Zu den gerichtlich nicht überprüfbaren prüfungsspezifischen Wertungen gehören allgemeine Aussagen des Prüfers z. B. zur Geordnetheit der Darlegungen, Überzeugungskraft der Argumente, die Gewichtung der Schwere der Fehler sowie die Bewertung des Gesamteindrucks.

So ist z. B. die häufig zu findende Floskel, eine Argumentation sei „wenig überzeugend“, in der Regel nicht angreifbar.

– Voller gerichtlicher Kontrolle unterliegt die Frage nach der methodischen Richtigkeit des gewählten Aufbaus. Bezeichnet der Korrektor einen fachlich nicht zu beanstandenden Aufbau als falsch, so ist dies angreifbar.

– Voller gerichtlicher Kontrolle unterliegt weiterhin auch die Überprüfung der Aufgabenstellung darauf, ob sie sich im Rahmen des nach der jeweiligen Prüfungsordnung vorgesehenen Prüfungsstoffes hält.

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die meisten Prüfungsordnungen eine Klausel beinhalten, wonach andere als die ausdrücklich aufgelisteten Rechtsgebiete im Zusammenhang mit den Pflichtfächern zum Gegenstand der Prüfung gemacht werden dürfen, soweit lediglich auf Verständnis geprüft und Einzelwissen nicht vorausgesetzt wird (in Baden-Württemberg: § 8 V JAPrO).

Andererseits ist zu beobachten, dass diese Klauseln zumindest durch einige Justizprüfungsämter bis an die Grenzen ausgelotet werden, so dass sich in geeigneten Fällen ein entsprechender Angriff zur Abrundung einer Widerspruchsbegründung durchaus lohnen kann.

– Ebenfalls voll gerichtlich überprüfbar ist die Aufgabenstellung auf etwaige Mehrdeutigkeit.

– Auch bei einer falschen Weichenstellung sind sowohl die darauf aufbauenden, folgerichtigen Ausführungen als auch Ersatzausführungen („Hilfsgutachten“) durch den Prüfer zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten. Tut er dies nicht, ist dies angreifbar.

– Die Musterlösung darf der Prüfer seiner Korrektur nicht „unkritisch“ zugrunde legen.

Allerdings ist dies in den Staatsexamina – anders als gelegentlich in der Korrekturpraxis der universitären Übungen zu beobachten – tatsächlich nur sehr selten der Fall.

– Der Antwortspielraum des Prüflings ist bei Themenfragen („Nennen Sie tragende Rechtsgedanken der Europäischen Union“) großzügiger zu bemessen.

– Die äußere Form darf die Notengebung nicht beeinflussen (!).

(Dies sollte allerdings nicht als Erlaubnis zur „Sauklaue“ verstanden werden: Bitte bedenken Sie, dass eine schlechte äußere Form Ihren Korrektor selbstverständlich trotzdem gegen Sie einnehmen könnte, auch wenn er – die Kenntnis der Rechtsprechung vorausgesetzt – dies nicht unter Ihre Arbeit schreiben wird.)

– Sprachliche Mängel dürfen zur Abrundung des Gesamteindrucks Berücksichtigung finden, solange sie bei der Gewichtung nicht überbetont werden. Einzelne Fehler, bei denen es sich offenkundig um Schreibversehen handelt und die für das Ziel der Leistungskontrolle nicht wesentlich sind, müssen bei der Bewertung außen vor bleiben.

– Ist der Zweitkorrektor mit der Bewertung durch den Erstkorrektor einverstanden, so muss er dies nicht extra begründen; in diesem Fall reicht ein schlichtes „einverstanden“.

Möchte der Zweitkorrektor allerdings von der Bewertung durch den Erstkorrektor abweichen, so trifft ihn hierfür eine Begründungslast.

– Nicht angreifbar ist die Korrektur unter dem Gesichtspunkt, dass der Prüfer in dem betreffenden Rechtsgebiet keine vertieften Rechtskenntnisse hat (z. B. Staatsanwalt, der eine Zivilrechtsklausur korrigiert). Es genügt die formelle Prüfberechtigung.

– Wenig Angriffschancen bieten bei Klausuren auch aggressive Randbemerkungen („Unsinn“, „Phrasen“, „dürftig“). Zwar ist der Korrektor an das Gebot der Sachlichkeit gebunden, die Rechtsprechung eröffnet ihm hier jedoch einen großen Spielraum.

Ein Angriff der Korrektur unter diesem Gesichtspunkt kommt daher nur in krassen Fällen – dann im Übrigen auch unter dem Aspekt der Befangenheit – in Betracht.

– Auch bei Bewertungsfehlern sollte zumindest kurz dargelegt werden, dass diese sich auch auf die Bewertung ausgewirkt haben. Die Beweislast, ein Korrekturfehler habe sich nicht ausgewirkt, trifft allerdings die Prüfungsbehörde.

Weiter zu Schritt 4: Überdenkungsverfahren

Schritt 0: Vorüberlegungen | Schritt 1: Widerspruch einlegen | Schritt 2: Akteneinsicht | Schritt 3: Widerspruch begründen | Schritt 4: Überdenkungsverfahren | Schritt 5: Widerspruchsbescheid und Klage